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Zwischen Grauen und Begeisterung: Fasching polarisiert jedes Jahr aufs Neue

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Fasching ist jedes Jahr erneut ein umstrittenes Vergnügen. Viele stürzen sich mit Freunden und Kollegen rein ins Getümmel – doch wie kann man sich dem entziehen, ohne als Spaßbremse zu gelten?

Die ganze Firma feiert exzessiv Fasching: Muss ich mitmachen, obwohl mir gar nicht danach zumute ist? Auf keinen Fall, meint Patrizia Voigtländer, Geschäftsführerin und Trainerin der Contextuellen CoachingAcademie.

Der Versuchung widerstehen, sein Umfeld zu missionieren

Wer gegen seinen eigentlichen Willen mitmacht, hat Angst vor Ablehnung. Doch das ist ein Teufelskreis, weil der sogenannte „Gruppendruck“ damit noch längst nicht weg ist. Deshalb: auf jeden Fall machen was DU willst: ins Büro gehen und arbeiten – oder zu Hause bleiben. Allerdings nicht im Büro sitzen als Mahnmal oder Demonstrant, sondern einfach als Mitarbeiter, der halt nicht feiert. Denn wer statt widerwillig mitzumachen zum militanten Faschingsgegner wird, versucht, sein Umfeld zu missionieren und will am Ende nur eines: Zustimmung für seine Ablehnung.

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28 Prozent der Deutschen sind Faschingsfans

Können Sie darüber lachen? „Was haben die Berliner mit dem Kölner Karneval zu tun? Sie werden gegessen“. Falls Sie hier tatsächlich schmunzeln mussten, stehen die Chancen nicht schlecht, dass Sie zu den 28 Prozent der Deutschen gehören, die sich selbst als Faschings- bzw. Karnevalfans bezeichnen. Allerdings: die Gruppe der Gegner, die das närrische Treiben partout ablehnt, ist ebenso groß. Zwischen beiden klafft eine riesige Lücke.

 

An Fasching scheiden sich die Geister. Die einen feiern begeistert die fünfte Jahreszeit, die anderen wenden sich mit Grauen ab. Was aber tun, wenn die ganze Firma im Ausnahmezustand ist, der gesamte Freundeskreis verkleidet über den Viktualienmarkt ziehen will und sich die eigene Familie mit den grellsten Schminktipps überbietet, man selbst aber am liebsten in Ruhe Sartre lesen möchte? Je näher Rosenmontag und Faschingsdienstag rücken, desto stärker fühlen nicht wenige einen latenten – wie es heißt – „Gruppenzwang“. Mitmachen, obwohl man ja eigentlich gar nicht will. „Gehört eben dazu“, „ist ja nur einmal im Jahr“, „macht man halt so“ – sind die typischen Argumente, mit denen sich viele dann selbst beschwichtigen wollen und in Wirklichkeit gnadenlos selbst belügen.

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Wie entzieht man sich dem Gruppendruck?

Denn: Wer Fasching feiert, obwohl ihm danach gar nicht zumute ist, hat einfach nur Angst vor Ablehnung. Was werden die Kollegen sagen? Wie wird der Partner/die Partnerin reagieren? Was wird die Clique denken? Mit solchen Grübeleien machen sich viele selbst Angst. Und genau dieses Gefühl soll dann eine ganz wesentliche Grundmotivation sein, ausgelassen feiern zu wollen? Das ist paradox und führt zwangsläufig zum Scheitern. Die vielen gequälten und häufig auch völlig überdreht fröhlichen Gesichter, die wir im Faschingstreiben beobachten, zeigen allerdings, wie verbreitet ein solches Denken und Handeln ist. 

Doch der sogenannte „Gruppendruck“ ist ein fieser Begleiter, den nur wenige abschütteln. Selbst, wenn wir uns entschließen, mitzufeiern. Es gibt tausend Gründe, den Erwartungen der Gruppe nicht gerecht zu werden: Das falsche Kostüm, zu wenig bzw. zu viel getrunken, mit der Falschen/dem Falschen geknutscht, zu früh gegangen und, und, und. Wer Angst vor Ablehnung hat, wird nie ein selbstbestimmtes und damit glückliches Leben führen können.

Keine „bad vibrations“ bei Faschings-Freunden erzeugen

Doch genau das kann jeder trainieren. Step by step. Der erste Schritt hier wäre, einfach dankend abzulehnen und alle anderen feiern lassen. Aber das ist gar nicht so einfach wie es klingt, weil uns unser Verstand hier gern einen Streich spielt. Für unsere Ablehnung wollen wir dann nämlich auch noch von allen anderen die Zustimmung. Man kennt bereits aus dem alltäglichen Leben: Überzeugte Vegetarier, die Fleischesser bekehren wollen, künftig auf ihr Steak zu verzichten; militante Fahrradfahrer, die Autofahrer missionieren, ihren Wagen stehenzulassen; Ultra-Sportskanonen, die jedem Couch-Potato die Vorzüge eines Marathonlaufs anpreisen usw. So ist es dann auch zu Fasching. Wer es nicht mag, erklärt seinem Umfeld gern in aller Ausführlichkeit, warum es absolut oberflächlich und geradezu lächerlich ist, einmal im Jahr in Kostümen verkleidet bierselig zu feiern. Doch andere zu entwerten, um den eigenen Standpunkt durchzusetzen, erzeugt beim Gesprächspartner nur eines: „bad vibrations“. Und das ist in der Konsequenz schon paradox: Wir wollen zwar die Zustimmung für unsere Ablehnung, doch wenn es um „die anderen“ geht, geizen wir gern mit der Zustimmung.

Als Faschingsmuffel den Karnevalisten ihren Spaß gönnen 

Also, liebe Faschingsmuffel: Wünscht Euren Kollegen, Freunden bzw. der Familie einfach viel Spaß beim Feiern und macht es Euch zu Hause gern gemütlich – ob nun mit Sartre, Sudoku oder der Live-Übertragung von „Mainz bleibt Mainz wie es singt und lacht“.

Stefan Stukenbrok

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