Politik

Erschöpfte Pflegerin schreibt Jens Spahn und bewegt zehntausende Menschen: So reagiert der Minister

0

Erschöpft beendet die Pflegerin Johanna Uhlig ihre Nachtschicht, doch die Missstände im Gesundheitssystem lassen ihr keine Ruhe. Sie schreibt Jens Spahn öffentlich und bewegt damit zehntausende Menschen. Der Gesundheitsminister macht ihr später ein Versprechen.  

Berlin – Diese Zeilen haben Respekt verdient. Krankenschwester Johanna Uhlig hat sich entschieden, sich nicht nur zu Hause oder im Kollegenkreis, sondern öffentlich über die Zustände im Gesundheitssystem zu beklagen. Nach einer anstrengenden Nachtschicht hat sie einen langen Facebook-Beitrag veröffentlicht, adressiert an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der aktuell mit Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer um den CDU-Parteivorsitz konkurriert. 

Darin beschreibt Uhlig, dass kräftezehrende Schichten, in denen sie sich vierteilen müsse, keine Ausnahme, sondern der Normalfall seien. Nicht einmal aufs Klo könne sie gehen, oder essen oder trinken. Sie erzählt von Kündigungen, von Demotivation und Ängsten. Sie appelliert an Jens Spahn: „Kämpfen Sie mit uns allen für ein Gesundheitssystem, in dem Menschen verantwortungsvoll und kompetent versorgt werden können.“

Lesen Sie Johanna Uhligs öffentlichen Facebook-Post im Wortlaut: 

„Sehr geehrter Herr Spahn, 

gerade komme ich aus der Nachtschicht. Ich bin erschöpft, verärgert und enttäuscht. Ich möchte Sie keinesfalls persönlich für die Missstände im Gesundheitssystem verantwortlich machen, jedoch komme ich heute nicht zur Ruhe, ohne Ihnen folgendes mitzuteilen. Aber besser von Beginn an: Mein Name ist Johanna Uhlig. Ich arbeite seit vier Jahren als Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin auf einer neonatologischen Intensivstation (Anmerkung der Redaktion: Diese Abteilung übernimmt die Versorgung von Risiko-, Früh- und Neugeborenen). Meine Arbeit verrichte ich in einem Krankenhaus der Maximalversorgung. Unser Patientenklientel sind Früh- und Neugeborene. Im Zuge meiner Weiterbildung zur pädiatrischen Intensivpflegefachkraft, arbeite ich aktuell auf einer pädiatrischen Intensivstation mit einem Patientenspektrum von null bis achtzehn Jahren. So habe ich auch Einblick in andere Fachgebiete erhalten. In der Kinderkrankenpflege ist der Personalschlüssel im Vergleich zur Kranken- und Altenpflege noch verhältnismäßig ordentlich. Trotzdem spürt man auch hier bereits den Wandel des Pflegefachkräftemangels. 

Erfahrene Kollegen kündigten, weil sie die immer schlechter werdenden Bedingungen und den drohenden Qualitätsverlust nicht mehr persönlich mittragen konnten. Es gab Kündigungen von jungen Kollegen, die sich nach einigen Monaten gar nicht erst vorstellen konnten, diese Arbeit im Dreischichtsystem fortzuführen. Selbst Auszubildende, die die Ausbildung abgeschlossen haben, orientieren sich sofort um und treten erst gar nicht in den Berufsstand. Was mich demotiviert, ist die Tatsache, dass ich die meiste Zeit überhaupt nicht das praktizieren kann, was ich ursprünglich gelernt habe: patientenorientierte, kompetente und evidenzbasierte Pflege

In einem solchen Beruf gibt es immer wieder Tage, an denen ein Notfall den anderen jagt und man das Gefühl hat, sich vierteilen zu müssen. Das ist normal. Allerdings ist es nicht normal, dass sich aktuell fast JEDER Dienst so gestaltet und man nur noch das Unerlässliche am Patienten verrichten kann

Der Pflegenotstand als solcher ist relativ. Viele Personen führen die Berufsbezeichnung eines Pflegeberufes. Ihre Examensurkunde haben sie zuhause in einer Schublade liegen. Viele dieser Pflegekräfte haben den Beruf verlassen – aus Gewissensgründen, aus gesundheitlichen Gründen oder sie haben schlichtweg die Notbremse für sich selbst gezogen. Ziel sollte daher nicht nur eine bessere Bezahlung sein. Menschen erlernen diesen Beruf möglicherweise durch finanzielle Anreize eines guten Verdienstes. Aber aus aktuellem Anlass kann ich Ihnen sagen, dass keiner meiner Kollegen geblieben wäre, selbst wenn man ihnen deutlich mehr Gehalt angeboten hätte. Die Arbeitsbedingungen müssen sich radikal ändern. 

Mein Partner ist besorgt, wütend und weist mich des Öfteren darauf hin, dass es nicht sein kann, dass ich während meiner gesamten Schicht weder etwas gegessen, noch getrunken habe. Aber was ihn am meisten erschreckt, ist, dass es mir häufig nicht möglich ist, zur Toilette zu gehen. Das ist jedoch die Regel. 

Pflegekräfte machen bei ihrer persönlichen Fürsorge Abstriche, um die Pflege am Patienten auf einem möglichst guten Niveau zu halten. Nicht nur aus Fürsorgepflicht, sondern auch aus Angst, etwas zu vergessen, nicht korrekt zu dokumentieren und am Ende mit einem Fuß im Gefängnis zu stehen. 

Wir springen ein, wenn Kollegen ausfallen. Wir verschieben Urlaub, wenn die Schichten sonst nicht besetzt werden können. Wir machen unseren Job gerne! Aber viel mehr können wir Pflegekräfte in Deutschland nicht mehr geben! 

Das Gesundheitssystem stürzt ein wie ein Kartenhaus. Die stationäre Versorgung ist in der Kranken- und Altenpflege zuweilen katastrophal. Während meiner Ausbildung habe ich auch Einblicke in die Altenpflege bekommen: Ältere Herrschaften melden sich zum Toilettengang, aber aus akuter Personalnot werden sie gebeten, es doch „einfach laufen zu lassen“, schließlich hätten sie ja eine Einlage. 

Patienten äußern Schmerzen, die Pflegekraft jedoch ist im Nachtdienst allein. Sie schafft es durch das hohe Arbeitsaufkommen nicht, zügig ein Schmerzmittel zu verabreichen. Wer kann da noch ohne Angst und mit Vertrauen als Patient in ein Krankenhaus oder Pflegeheim gehen? 

Herr Spahn, niemals würde ich Ihnen wünschen, krank zu werden. Aber diese Zustände würden Sie wohl gar nicht am eigenen Leib erfahren, da Sie das Privileg einer Privatstation genießen. 

Auch in der ambulanten Versorgung gibt es massive Engpässe. Schwangere Frauen finden kaum noch Hebammen. Auf einen Termin beim Facharzt muss man wochenlang warten. Einen Kinderarzt muss man sich am besten schon direkt nach der Zeugung suchen. Auch hier tun die niedergelassenen Ärzte ihr Bestes: Öffnen die Praxen immer früher am Morgen, nehmen dringende Patienten trotzdem irgendwie an und bekommen am Ende noch nicht einmal alle erbrachten Leistungen vergütet!? 

Meine Mutter arbeitet in der ambulanten Krankenpflege in meinem Heimatdorf. Auch hier kündigen Kollegen und kaum einer bleibt bei der Stange. Die Menschen zu Hause warten auf eine Pflegekraft, die ihnen aus dem Bett hilft, die Tabletten verabreicht und bei Bedarf das Insulin spritzt. Aber was passiert, wenn eines Tages niemand mehr kommt? 

Das alles sind alarmierende Signale. Die Dinge laufen aus dem Ruder! Ab 2020 kommt dann noch die generalistische Pflegeausbildung. Für mich ist das die Kirsche auf dem Sahnehäubchen der Probleme. Natürlich ist die Regierung davon überzeugt, damit eine super Sache auf den Weg gebracht zu haben. Vor allem, um die Altenpflege aufzuwerten. Gleichzeitig soll damit aber auch der Pflegenotstand bekämpft werden. Durch einen allgemeinen Abschluss als Pflegefachmann/- fachfrau kann man universell in jedem Fachbereich (Alten-/ Kranken-/ Kinderkrankenpflege) arbeiten. Ich habe drei Jahre eine Ausbildung speziell in der Kinderkrankenpflege gemacht. Niemals wäre ich in der Lage, ältere Menschen derart kompetent zu versorgen, wie ein/e examinierte Altenpfleger/in. Genauso wenig qualifiziert wäre diese Person für die Pflege meiner 500 Gramm schweren Patienten. Jedes Patientenklientel hat besondere Bedürfnisse und spezielle physiologische Gegebenheiten. Diese zu kennen ist unerlässlich! 

Allein mit einer einjährigen Spezialisierung innerhalb der generalistischen Pflegeausbildung ist dies nicht möglich. Niemals kann das gleiche Wissen vermittelt werden, wie in spezialisierten Ausbildungsberufen. Dies wird zu Kompetenzverlusten, Fehlern und im schlimmsten Fall zum Tod von Patienten führen

Spezialisierung ist unglaublich wichtig! Ich könnte meine Weiterbildung sonst auch einfach sein lassen. Übrigens zeigen sich Weiterbildungen in der Pflege kaum auf dem Gehaltszettel. Man investiert Zeit und Energie, um für seinen Arbeitgeber ein attraktives Aushängeschild zu sein. Letztendlich wird man auch für diese erworbenen Kompetenzen nicht entlohnt. 

Als Pflegekraft verstehe ich nur einen Bruchteil der Finanzierung im Gesundheitswesen. Aber ich weiß, dass einiges in die entgegengesetzte Richtung läuft und Gelder in die falschen Töpfe fließen. Daher bitte ich Sie, Ihren Auftrag als Gesundheitsminister ernst zu nehmen! Kämpfen Sie mit uns allen für ein Gesundheitssystem, in dem Menschen verantwortungsvoll und kompetent versorgt werden können. Pflegekräfte sollten keine Angst um ihren Berufsstand haben müssen!

  • Kinder sind die Zukunft unserer Gesellschaft – sie verdienen menschenwürdige Pflege.
  • Ältere Menschen haben in ihrem Leben viel für unsere Gesellschaft geleistet – sie verdienen menschenwürdige Pflege.
  • Pflegekräfte tragen enorm viel zu einer funktionierenden Gesellschaft bei – sie verdienen menschenwürdige Arbeitsbedingungen.

Freundliche Grüße, Johanna Uhlig“

So reagiert Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf den Facebook-Post der Pflegerin

Jens Spahn antwortet der Pflegerin in einem Facebook-Video, das bereits mehr als 74.000 Mal von Menschen aufgerufen wurde (Stand: 20. November 2018, 15 Uhr). Er dankt ihr und sagt, dass ihn die Nachricht persönlich und als Bundesminister für Gesundheit berührt habe, „weil genau das ja das ist, woran wir arbeiten wollen, wofür wir auch vor zwei Wochen das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz verabschiedet haben. Womit wir Vertrauen zurückgewinnen wollen.“

Die Worte der erschöpften und unzufriedenen Pflegerin hätten ihm eines gezeigt: „Wir müssen wahnsinnig viel arbeiten, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Wir starten jetzt mit mehr Stellen in Kliniken, dass jede Stelle in den Kliniken bezahlt wird, dass die Tarifsteigerungen refinanziert werden, mit Pflegepersonaluntergrenzen zum ersten Mal auf vier Stationen, die wir aber auch weiter ausbauen wollen. Also wir machen ein ganzes Bündel von Maßnahmen und ja, ich weiß, das reicht noch nicht. Es ist erst der erste Schritt. Aber es ist eben der erste Schritt, um Vertrauen zurückzugewinnen und um Ihren Arbeitsalltag besser zu machen.“ 

Daher bedankt er sich bei Uhlig für die ehrliche, offene Darstellung und für die Eindrücke, die sie ihm und allen, die in der Gesundheitspolitik tätig sind, gegeben habe. „Und ich weiß, ich sage es noch einmal, wir werden das nicht von heute auf morgen alles abstellen können und alles besser machen können. Aber ich kann Ihnen eins versprechen: Ich werde jeden Tag, jede Stunde dafür arbeiten, es besser zu machen“, sagt Spahn am Ende seines Videos. 

Video: Papst geißelt perverse Wurzel der Armut

(Lesen Sie ein Portrait über Jens Spahn: „Jens Spahn: Sein Ehemann, seine Karriere und die Chancen auf Merkels Posten“) 

Pflegerin bedankt sich bei allen, die Ihre Botschaft verbreiten – und bei Jens Spahn

Pflegerin Johanna Uhlig ist überwältigt von den zehntausenden Reaktionen auf ihren öffentlichen Facebook-Beitrag (mehr als 61.000 Likes, 7000 Kommentare und 56.000 Shares; Stand: 20. November 2018, 16 Uhr). Nochmals an Jens Spahn gerichtet schreibt sie: „Ich, sowie alle, die meinen Post gelesen haben, vertrauen und bauen auf Ihre Worte.“

Diese Politik-Berichte könnten Sie auch interessieren:

  • Friedrich Merz (CDU) verrät sein Riesen-Einkommen, will aber nicht zur Oberschicht gehören
  • Jens Spahn verkündet Frontalangriff auf AfD – Ausgerechnet ein SPD-Mann lobt sein Vorgehen

sah

Münchner Milliardär von Finck soll AfD unterstützen – Wer ist dieser Sponsor eigentlich?

Previous article

Unter großem Applaus: Merz rügt „Sozialdemokratisierung“ der CDU

Next article

You may also like

Comments

Leave a reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

More in Politik