Politik

Streit um Grenzwerte: Lobbyismus-Vorwürfe gegen Lungenarzt-Initiative – Ex-Daimler-Mitarbeiter an Bord?

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Einige Lungenspezialisten zweifeln den Nutzen der Stickoxid-Grenzwerte an – die Debatte um Grenzwerte und Fahrverbote wird äußerst emotional geführt.

Update 15.28 Uhr: Die Organisation LobbyControl weist auf Verbindungen der Autoren eines Aufrufs zur Revidierung der Stickoxid-Grenzwerte zur Autoindustrie hin. Die vom Lungenarzt Dieter Köhler initiierte Aktion habe tatsächlich vier Autoren – neben den Fachärzten Köhler und Martin Hetzel habe auch der Chef des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme, Matthias Klingner, den Text mitverfasst – und Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie, die vormals zehn Jahre lang für die Daimler AG gearbeitet habe.

„Es hat eine andere politische Wirkung, ob ein solches Schreiben allein von einem Lungenarzt initiiert wurde oder von einem früheren Daimler-Mitarbeiter mitverfasst wurde“, erklärte Ulrich Müller von LobbyControl, in einem auf der Homepage der Organisation veröffentlichten Text. „Auch dass es sich bei der Initiative um eine Minderheitenmeinung handelt, wurde zum Teil in der Berichterstattung nicht erwähnt“, betonte er. Dem Vorstoß hatten sich 112 Lungenärzte angeschlossen. Aufgerufen waren angeblich 3800 Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie.

Lobbyismus-Vorwürfe erhob am Freitag auch der frühere Grünen-Spitzenpolitiker Jürgen Trittin. „Wieso schaffen es heute 100 Lungenärzte mit Hilfe von Bild in die Tagesschau und nicht vor 10 Jahren? Heute drohen Dieselfahrverbote!“, twitterte er. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und „die Autolobby“ freuten sich, schrieb Trittin weiter.

Lungenarzt-Debatte: Grüner spricht von „Schande“ – und wirft Scheuer „Verletzung der Amtspflicht“ vor

Update vom 25. Januar, 09.38 Uhr: Der Streit um die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxid erhitzt weiter die Gemüter. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete und frühere bayerische Landeschef der Partei Dieter Janecek hat nun heftig gegen die Initiative einer Gruppe von Lungenärzten geschossen – und damit Kritik inner- und außerhalb seiner Partei provoziert.

„Was Union und FDP zusammen mit ein paar verirrten Lungenärzten da (…) aufführen, hat Reichsbürger-Niveau. Eine Schande für die deutsche Politik ist das“, twitterte Janecek. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer antwortete am späten Donnerstagabend. Sie attestierte Janecek eine „intolerante Unverschämtheit“: „So geht man nicht mit anderen Meinungen um“, betonte sie. Auch die frühere Grünen-Fraktionschefin Renate Künast antwortete mit einem kühlen „nicht richtig!“.

In einem Beitrag auf seiner Homepage äußerte sich Janecek etwas moderater, machte aber Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) schwere Vorwürfe. Scheuers Amtspflicht sei es, „Schaden von den Bürgerinnen und Bürger des Landes abzuwenden“, dennoch nehme der Minister eine „nicht wissenschaftliche, sondern politische Meinungsäußerung von Ärzten als Beleg dafür“, einen bestehenden wissenschaftlichen Konsens in Frage zu stellen. „Ich halte dies für eine grobe Verletzung der Amtspflicht“, erklärte Janecek.

Von den 112 Unterzeichnern der Lungenärzte-Petition habe keiner „Expertise auf dem Feld“. Auch Initiator Dieter Köhler könne „keine einzige Veröffentlichung zum Thema Stickoxid aufweisen“, beklagte sich Janecek weiter. Zugleich stellte er klar: Natürlich dürften sich Ärzte zu „allen möglichen Themen zu Wort melden“ – allerdings handle es sich eben nicht um eine wissenschaftliche Publikation, sondern um eine „politische Meinungsäußerung“.

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Feinstaub-Debatte: CDU-Wirtschaftsrat fordert Aufschub für Diesel-Fahrverbote – Die Meldungen vom 24. Januar 2019

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6.47 Uhr: Nach dem Vorstoß einer Gruppe von Lungenärzten wächst die Kritik an Dieselfahrverboten in deutschen Städten. Der Wirtschaftsrat der CDU forderte wegen der Debatte um Feinstaub-Grenzwerte ein Moratorium für die Fahrverbote. „Offenkundig bestehen immer größere – auch medizinische Zweifel – an der Sinnhaftigkeit der Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide. Wir sollten daher eine wissenschaftliche Neubewertung der Grenzwerte vornehmen“, sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger am Donnerstag in Berlin. „Bis dahin sollten die bereits beschlossenen Diesel-Fahrverbote ausgesetzt werden.“

Ökologischer Verkehrsclub: Scheuer nimmt in Erkrankung zigtausender Menschen in Kauf

Update 13.29 Uhr: In der Debatte um Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide hat der ökologische Verkehrsclub (VCD) Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vorgeworfen, die Erkrankung "zigtausender Menschen in Kauf" zu nehmen. Scheuer kröne sich zum "Schutzpatron der Autoindustrie", kritisierte der VCD am Donnerstag. Ein Aussetzen der geltenden Grenzwerte "wäre ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die unter den Folgen schlechter Luft zu leiden haben".

Der VCD forderte, Scheuer müsse "endlich dafür sorgen, dass Dieselfahrzeuge deutlich weniger Schadstoffe ausstoßen". Stattdessen stelle der Minister "wissenschaftlich haltlos" die negativen Auswirkungen von Stickoxiden und Feinstaub in Frage.

Bundesumweltministerin Schulze wies die Kritik von Lungenärzten zurück

Auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) wies die Kritik von Lungenärzten an den Grenzwerten zurück. Die Werte dienten dem Schutz aller Menschen, sagte sie dem "Handelsblatt". Die große Mehrheit der Städte schaffe es auch, die Grenzwerte einzuhalten. "Wir haben also kein Grenzwertproblem, sondern ein Diesel- und Verkehrsproblem, das wir zum Beispiel mit Hardware-Nachrüstungen lösen können", sagte Schulze. Davon lenke die aktuelle Debatte ab.

Scheuer begrüßt Initiative der Lungenärzte in Feinstaub-Debatte

Berlin/Goslar – Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hat die Initiative von mehr als hundert Lungenfachärzten begrüßt, die geltende Feinstaub- und Stickoxidgrenzwerte in Frage stellen. „Wir brauchen eine ganzheitliche Sichtweise“, sagte der CSU-Politiker am Donnerstag im ARD-Morgenmagazin. „Wenn über 100 Wissenschaftler sich zusammenschließen, ist das schon einmal ein Signal.“ Kritik kam auch vom Deutschen Anwaltsverein, der die Diesel-Fahrverbote als Eingriff in die Grundrechte bezeichnete. Das Bundesumweltministerium und die Grünen wiesen die Kritik der Lungenärzte unterdessen zurück.

Die Gruppe von Lungenspezialisten zweifelt den gesundheitlichen Nutzen der geltenden Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide (NOx) an. Sie sähen keine wissenschaftliche Begründung, die die geltenden Obergrenzen rechtfertigen würde, heißt es in einer Stellungnahme.

Auch in der Talkshow „Hart aber fair“ sagte ein Lungenarzt, dass er die geltenden Grenzwerte für Unfug hält. 

Video: Schweden verbietet Verbrennungsmotoren 

Die Lungenärzte stellen sich gegen Positionspapier der DGP

Mit ihrem Vorstoß stellten sich die Lungenärzte auch gegen ein Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), das 2018 veröffentlicht worden war. Darin hieß es: „Studien zeigen, dass die Feinstaub-Belastung durch Landwirtschaft, Industrie und Verkehr gesundheitsschädlich ist.“ Die DGP, die Deutsche Lungenstiftung und der Verband Pneumologischer Kliniken, erklärten am Mittwoch, der Vorstoß werde als Anstoß für nötige Forschungen und eine kritische Überprüfung betrachtet.

Auch interessant: Streit um Luftgrenzwerte: „Tagesthemen“-Kommentator kontert Lungen-Ärzte

Die Grenzwerte sind Grundlage für Dieselfahrverbote. In der EU gilt für Stickstoffdioxid ein Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter, für Feinstaub sind es Werte je nach Partikelgröße. Nach einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts können Kommunen, in denen die Grenzwerte überschritten werden, strecken- oder zonenbezogene Fahrverbote gegen Diesel verhängen.

Deutscher Anwaltsverein kritisierte Dieselfahrverbote

Scheuer sagte, die EU gebe die Möglichkeit, Grenzwertmessstationen auch dort zu platzieren, wo die Schadstoffemissionen nicht am höchsten sind. Dies hält er für „eine vernünftige Herangehensweise an die Grenzwerte“. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat die Dieselfahrverbote in Städten derweil scharf kritisiert. Die Verbote schränkten viele Privatleute und Gewerbetreibende in ihrer grundgesetzlich garantierten persönlichen und beruflichen Freiheit ein, sagte Andreas Krämer von der DAV-Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht.

Der Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel erscheine irrational, sagte der Rechtsanwalt auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar. Er sei vollkommen willkürlich gewählt. An vielen Arbeitsplätzen herrsche eine höhere Schadstoff-Belastung.

Bundesumweltministerium weist Kritik der Ärzte zurück

Der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Jochen Flasbarth, wies dagegen die Kritik der Lungenärzte zurück. Die geltenden Grenzwerte seien das Ergebnis vieler Studien, sagte er dem rbb „Inforadio“. Sie zeigten, dass es einen Zusammenhang zwischen Luftschadstoffen und Lungen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen gebe.

Bei der Ärzte-Kritik handle es sich um eine rein politische Erklärung und nicht um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung. „Seit 2010 sind diese Grenzwerte einzuhalten. Das tun wir nicht, aber nicht deshalb, weil die Grenzwerte falsch sind, sondern weil die Industrie dreckige Autos verkauft hat und weil die Verkehrspolitik tatenlos zugeguckt hat“, sagte Flasbarth.

Anton Hofreiter (Grüne) spricht von „seltsamen Vergleichen“

Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen, erklärte, in der Debatte würden seltsame Vergleiche gezogen. „Wenn es heißt, dass es zwar Tote durch Lungenkrebs gebe, jedoch nicht durch Feinstaub oder Stickoxid, dann ist das irreführend: Auch ein Raucher stirbt nicht am Rauch selbst, sondern an den Folgen, ob das Lungenkrebs oder Herzinfarkt ist.“

Während der Einzelne sich bewusst gegen das Rauchen entscheiden könne, sei er den schädlichen Stoffen an Straßen schutzlos ausgeliefert, so Hofreiter Die Politik habe die Aufgabe, Risiken zu minimieren und die Bürger vor Gefahren zu schützen. Die Gefahr treffe besonders Kinder, Schwangere und Ältere an viel befahrenen Straßen. „Wer das nicht ernstnimmt, handelt fahrlässig.“

dpa

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