Gesundheit

Spitzenathleten schwören auf Sport im Winter. Was wir daraus lernen können

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Bei eisigen Temperaturen eine Runde Joggen gehen? Unbedingt! Ein bisschen Bibbern ist sogar gesund für den Körper – und bringt das Immunsystem auf Trab.

Zu kalt gibt’s nicht: Die Erkältung lauert eher in der U-Bahn – nicht im Park

Die Schuhe? Eher eine Nummer kleiner, des besseren Halts wegen. Der Rennanzug? Luftig, auch mit Skiunterwäsche. Wenn Viktoria Rebensburg, wie jetzt im November in den USA, ihre Weltcuprennen absolviert, die Temperaturen schon mal unter minus zehn Grad fallen, dann wird die Kälte wieder da sein. Seit Rebensburg denken kann, weicht sie nicht von ihrer Seite. Im Spätherbst kündigt sie sich an, im Winter rückt sie ihr dann immer wieder mal richtig zu Leibe.

Ihre Karriere hat Rebensburg auf Schnee gebaut, und es ist keine kleine geworden: Olympiasiegerin 2010 im Riesenslalom, Weltcupsiegerin in derselben Disziplin, und auch bei der Skiweltmeisterschaft im kommenden Februar in Schweden tritt sie wieder als Mitfavoritin an. “Im Grunde meines Herzens bin ich schon immer ein Winterkind gewesen und werde es auch immer bleiben. Ich bin dort aufgewachsen, wo es früher viele und starke Winter gab. Deshalb mache ich oft Sport draußen. Auch mal Langlauf oder mal Skitouren gehen.”

Es ist an der Zeit, endgültig mit ein paar Vorurteilen aufzuräumen, die sich noch immer in unseren Breitengraden halten. Denn der Winter ist fürs Sporttreiben im Freien viel besser als sein Ruf. Und das nicht nur, wenn er das Land weiß überzuckert und obendrein noch von der Wintersonne bestrahlen lässt.

Er mag uns bisweilen leiden lassen mit seinem eisigen Wind, der kalten Nässe, die unter die Regenkleidung kriecht. Doch er bietet mindestens so viel Chance wie Last, wenn wir ihn als Einladung begreifen – nicht zum Rück-, sondern zum Auszug. “Ähnlich wie bei der Sauna oder beim Ausdauersport ganz generell kommt es auch beim Sport in kühler Umgebung zu einer Aktivierung von Immunzellen”, sagt Mathias Steinach von der Charité in Berlin. Ursache ist die kurzzeitige Ausschüttung von Stresshormonen, die durch die Kälte verstärkt wird. “Immunzellen, die noch untätig im Gewebe waren, werden nun bewegt, gelangen in den Blutstrom und kommen in Kontakt mit anderen Immunzellen sowie den Körperoberflächen und können potenziell krankheitsauslösende Viren und Bakterien besser und schneller bekämpfen”, sagt Steinach.

Im Zentrum für Weltraummedizin der Charité in Berlin forscht er unter anderem, wie unser Organismus auf extreme Kälte reagiert. Den Unterschied zwischen kalt und richtig kalt kennt der Wissenschaftler somit bestens. Er hat Teilnehmer des legendären Yukon Arctic Ultra in Kanada medizinisch begleitet und wird auch 2019 wieder beim härtesten Langstreckenlauf der Welt dabei sein. Zu Fuß geht es dort über Tage am Yukon-River entlang, die Temperaturen oftmals unter minus 40 Grad. Dazu ein eisiger Wind. Die gefühlte Temperatur liegt dann noch einige Grad niedriger, denn Windgeschwindigkeit, Sonnenstrahlung und Luftfeuchtigkeit beeinflussen das Kälteempfinden massiv. Die Rennfahrerin Rebensburg erinnert sich an Abfahrten in Kanada, bei denen das Thermometer unter minus 30 Grad gesunken sei, der Wind ihr um die Ohren blies. “Da kann man dann wirklich nur schnell einmal runterfahren, und das war es dann.”

Zu stark ist der Körper in solchen Extremsituationen damit beschäftigt, den Körperkern warm zu halten. Der Energiebedarf steigt stark an, die Blutzirkulation in der Peripherie wird gedrosselt, es drohen Erfrierungen. Wer unter solchen Bedingungen dem Körper noch zusätzliche Energie durch eine Ausdauerleistung entzieht, mag manches Kilo verlieren. Er riskiert aber auch eine Unterkühlung.

Bei Temperaturen unterhalb von minus zehn oder minus 15 Grad empfiehlt Steinach Sportlern nicht nur deshalb, vorsichtig zu trainieren.  “Die Luft ist dann sehr trocken, die Atemwege können schnell austrocknen und die Bronchien sich verengen.” Es droht das sogenannte kälteinduzierte Asthma.

In Deutschland erlebt man allerdings nur selten solch ein arktisches Klima. In den vergangenen Jahren sind die Winter eher milder geworden. Zudem ist der Körper grundsätzlich gut gerüstet, um mit Kälte fertigzuwerden: Das sogenannte braune Fettgewebe, auch bei Erwachsenen in jüngerer Forschung zweifelsfrei nachgewiesen, dient ausschließlich der Wärmeproduktion. Im Winter zeigt sich dieses Gewebe deutlich aktiver als im Sommer. Der Körper greift also in der Kälte auf unsere Fettdepots zu, wenn wir ihn ein wenig fordern, eine angenehme Begleiterscheinung der Bewegung bei kühleren Temperaturen, die sich nicht nur Extremsportler in schmerzhafter Kälte zunutze machen sollten.

Temperaturen von etwa plus 10 bis 15 Grad können sich sogar leistungssteigernd auf Ausdauersportarten auswirken. Unser Temperaturausgleich funktioniert dann erheblich besser als etwa im Hochsommer. Schweiß und Energie an die Umgebung abgeben, um auf diese Weise die Körpertemperatur zu senken, müssen wir dann kaum. Die Kühlung erfolgt bereits von außen. Es ist deshalb in Wintermonaten wichtig, beim Sport nicht zu dick gekleidet zu sein. Am besten nach dem Zwiebelprinzip mit mehreren Lagen, die geändert werden können, um die Wärmeabgabe an die kühlere Umgebung zu gewährleisten. Ein schwitzender Körper, unter Umständen von kaltem Wind durchweht, verliert zu viel Wärme. Kommt noch körperliche Erschöpfung dazu, entsteht ein Energiedefizit. Die Durchblutung der Haut sinkt, immer schlechter kommen die Immunzellen mit den verschiedenen Bereichen des Körpers in Kontakt, vor allem Hals, Nase und Rachen sind betroffen. Krankheitserreger, bereits irgendwo eingefangen, haben dann leichtes Spiel, sich gegen den durchlässigeren Virenabwehrschirm durchzusetzen. Wir werden – krank.

Wer das eigene Kälteempfinden und den Fitnessgrad aber kennt, dem stehen in jeder Hinsicht Tür und Tor offen. Jana Sussmann, 28, etwa läuft so ziemlich jeden Tag, und das mit kurzer Hose, “bis um die fünf Grad”. Sussmann stört der eng anliegende Stoff der Laufhosen am Körper. Ihre ausgeprägte Kälteresistenz liegt jedoch nicht am durchaus isolierend wirkenden Unterhautfettgewebe. Schlank ist sie und hat doch nie viel gefroren. Kalte Füße kennt sie fast nicht. Denn wie Menschen Temperatur empfinden, ist so individuell wie Hautfarbe oder Fingerabdruck. Deshalb sind einheitliche Kleidervorschriften für Winterjogger wenig sinnvoll.

Sussmann hat sich an einem Dienstag im November die Laufhandschuhe zur kurzen Hose übergestreift, draußen zeigt das Thermometer elf Grad, gleich wird sie ihre Runde drehen und kopfschüttelnd zurückkehren. “Die Handschuhe hätte ich mir sparen können.” Auf neun bis zehn Einheiten kommt sie pro Woche, insgesamt 90 Kilometer reißt sie auf diese Weise in sieben Tagen herunter. Sie ist keine typische Freizeitläuferin, sondern gehört zu den besten deutschen 3000-Meter-Hindernisläuferinnen. Im vergangenen Sommer startete sie bei der Europameisterschaft.

Und doch bezeichnet sie sich nicht als Profi-, sondern als Leistungssportlerin. Eine Banklehre hat sie gemacht, dann studiert, heute arbeitet sie als Journalistin. Das Laufen sei immer eine Passion, kein Job in ihrem Leben geblieben. Auch deshalb taugt sie als Inspiration für mehr Sport zu jeder Jahreszeit.

Training vor der Haustür

Als Trainingsstrecke wählt sie jene, für die sich die meisten Läufer entscheiden – die unmittelbare Umgebung. Direkt vor ihrer Haustür in Hamburg-Eimsbüttel rennt Sussmann los. “Erst mit dem Auto irgendwo hinfahren, das will ich nicht. Ich will direkt raus, danach unter die Dusche, fertig.” Sie ziehe die klare sauerstoffreiche Luft dem Geruch von Gummi der Tartanbahn vor, der in der Leichtathletikhalle neben der Alsterdorfer Sporthalle, Ort ihrer Krafttrainingseinheiten, unvermeidlich ist.

Sie kann sich nicht daran erinnern, dass sie einmal wegen zu großer Kälte ganz aufs Laufen verzichten musste, selbst das Intervall- oder Sprinttraining macht sie am liebsten draußen auf einer jener Runden durch Stadtparks, die sie für sich erkundet, immer die GPS-Uhr am Arm, um Strecke und Intensität entsprechend ihrer Trainingspläne zu wählen. “Wenn ich einmal nicht laufen konnte, dann lag es am zu rutschigen Untergrund. Die Kälte hat mich noch nie so belastet, dass es nicht ging”, sagt sie.

Auch Viktoria Rebensburg sagt, sie laufe im Winter zwischen den Rennen am liebsten draußen ihre Runden, sie joggt gern nachmittags nach der Einheit auf Skiern in der Früh. “Ich gehe auch mit Erkältung jeden Tag spazieren, weil gerade die frische Luft für den ganzen Körper und die Schleimhäute so wichtig ist. Dass man einfach mal aus der trockenen Heizungsluft rauskommt und den Körper ein bisschen auf Touren bringt.”

Bis zu vier Stunden am Tag verbringt sie jetzt wieder draußen, drei davon auf Skiern. Sie achtet auf ihren Vitaminhaushalt, Erkältungen lauern bei ihr deutlich häufiger als bei Sussmann. Die angeblich so böse Kälte ist allerdings nicht schuld, dass es sie wie vergangenes Jahr nach Weihnachten schon mal erwischt. “Wir sitzen in den Hotels als Team auf engem Raum. Nach Neujahr sind so viele Viren in der Luft gewesen durch kranke Betreuer und Kolleginnen, dass es irgendwann unvermeidlich war.”

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