Politik

Pro und Contra zum Volksbegehren „Artenschutz“: Insektenforscher gegen Bezirksbäuerin

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Das Volksbegehren „Artenschutz“ spaltet Bayern. Für uns haben ein Insektenforscher und eine Bäuerin ihre Meinungen niedergeschrieben. Lesen Sie hier ein Pro und Contra zum Volksbegehren.

München – Christine Singer, „Bezirksbäuerin Oberbayern“ des Bayerischen Bauernverbandes hält den Gesetzesentwurf zur Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes einseitig auf Kosten der Landwirte formuliert. Dr. Andreas Segerer, Insektenforscher an der Zoologischen Staatssammlung München hingegen sieht insbesondere die Landwirtschaft in der Pflicht. Die beiden Experten erklären kurz vor dem Ende des Volksbegehren in Ihren Gastkommentaren, warum sie sich auf der einen oder anderen Seite verorten.

Pro Volksbegehren Artenvielfalt – Dr. Andreas Segerer 

Das Volksbegehren Artenvielfalt – "Rettet die Bienen!" (VB) sorgt in diesen Tagen für Schlagzeilen. Gut so! Spielt dieses Thema doch vor dem Hintergrund einer globalen ökologischen Krise und gehört deshalb ganz nach oben in die öffentliche und politische Diskussion. Die Überfrachtung der Erde mit Nährstoffen, die zunehmende Belastung der Umwelt mit Chemikalien und Müll und ein Artensterben von erdgeschichtlichem Ausmaß sind harte Realität; Klimawandel, Ressourcenverknappung, beginnende Migrationsbewegungen und zunehmende soziale Spannungen die logische Konsequenz. Wenn sogar die gemeinhin als zäh und stresstolerant geltenden Insekten weltweit mit immer schnellerer Rate zurückgehen, ist das ein Alarmzeichen: Insekten sind "systemrelevant" und ihr Verschwinden hätte katastrophale Folgen für unsere Zivilisation. Das Insektensterben ist Fakt und durch eine Vielzahl nationaler und internationaler Studien belegt; anders lautende Behauptungen sind gezielte, interessensgesteuerte Desinformationspolitik.

Insektensterben: „Längst sind die entscheidenden Ursachen bekannt“

Längst sind die entscheidenden Ursachen dieser Entwicklung bekannt. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts benannten Naturforscher die zentralen Triebkräfte des bereits damals laufenden Artensterbens: Intensivierung der Landnutzung, Flurbereinigung und Flächenfraß. Mit geradezu beängstigender Treffsicherheit sagten sie schädliche Folgen für Ökosysteme, lokales Klima und Böden voraus. Etwa ab Mitte des 20. Jahrhunderts ist dann noch die Überfrachtung der Umwelt mit düngewirksamen Stoffen und Pestiziden hinzugekommen. Und schon 1885, noch ganz am Anfang dieser Entwicklung, musste der renommierte Schmetterlingskundler Anton Schmid frustriert feststellen, dass "alle mündlichen wie schriftlichen Auslassungen über die großen allgemeinen Nachteile" kein Gehör finden. Daran – und damit sind wir unmittelbar am Puls des VB – hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert, andernfalls es die Biodiversitätskrise nicht gäbe.

Mit der Monotonisierung der Landschaft und den massiven Immissionen verschwinden die Arten. Wenn in diesem Zusammenhang viel von Landwirtschaft die Rede ist, so ist das kein "Bauern-Bashing", sondern der simplen Tatsache geschuldet, dass die landwirtschaftliche Nutzfläche nun einmal fast die Hälfte der Landesfläche ausmacht und daher alles, was unsere Landwirte tun oder lassen, ganz entscheidenden Einfluss auf die Biodiversität hat. Einstmals waren sie Erschaffer und Garanten einer artenreichen Kulturlandschaft und heute können oder dürfen sie es nicht mehr sein. Nicht die Bauern stehen also im Brennpunkt, sondern das gesamte, von Politik und Wirtschaft systematisch geförderte System des "wachse oder weiche", das zum massenhaften Sterben kleiner Höfe geführt hat und unsere Landwirte immer weiter in die Abhängigkeit der großen Agrokonzerne treibt. Würde die Politik sich endlich bewegen, das Fördersystem erfolgsorientiert auf naturverträgliche Landbewirtschaftung umzuschwenken, wäre ein wesentlicher Schritt getan. Dem Verbraucher den Schwarzen Peter zuzuschieben, der angeblich billige Lebensmittel an der Theke bevorzugt, ist hingegen zu einfach. Beispielsweise ist Fleisch aus Massentierhaltung nur deshalb so billig, weil diese subventioniert wird und die verursachten verheerenden Schäden an Kreatur, Natur und Umwelt überhaupt nicht in die Preisgestaltung einfließen – ein falsches System und ein Skandal!

„Die Initiative richtet sich an die Staatsregierung, nicht gegen die Bauern“

Es ist also gut, konsequent und im Wortsinn Not-wendig, wenn sich nun das Volk zu Wort meldet, um endlich eine Trendwende einzuleiten und also das zu erwirken, wozu sich die Politik der vergangenen Jahrzehnte nicht in der Lage sah. Das VB ist eine Initiative für den Biotopschutz und richtet sich an die Staatsregierung, nicht gegen die Bauern. Die vorgeschlagenen Änderungen des bayerischen Naturschutzgesetzes sind sinnvoll für Natur UND Landwirte und können das Artensterben aufhalten, was unter vielen anderen auch die Max-Planck-Gesellschaft und zahllose Biodiversitätsforscher im In- und Ausland so sehen. Die angestrebten Änderungen decken sich auch mit zentralen Forderungen des Weltagrarrats. Der spielt immerhin in einer anderen Liga als der Bayerische Bauernverband, welcher vehement gegen das VB zu Felde zieht (erklärlich durch die Tatsache, dass er in erster Linie die Interessen landwirtschaftlicher Großbetriebe und der Agrokonzerne vertritt). Aufgrund der zahllosen Fehl- und Desinformationen über die angeblich negativen Auswirkungen des VB auf die Bauern sah sich letzthin der Bioland Landesvorstand zu einem Offenen Brief veranlasst, um die Dinge richtig zu stellen (öffentlich auf der Bioland Webseite einsehbar).

In der zuletzt aufgeheizten Atmosphäre ist es sicher ein guter Rat, sich der Fakten zu besinnen: Es gibt das Insektensterben, alle wesentlichen Faktoren sind bekannt und im ureigensten Interesse unserer Kinder und Enkel können und dürfen wir nicht so weitermachen wie bisher. Die breite Unterstützung des Aktionsbündnisses Artenvielfalt macht Mut, dass immer mehr Menschen die Zeichen der Zeit erkennen. So eröffnet sich eine reale Chance auf erste, wirklich wirksame Verbesserungen, auf eine Trendwende. Ein Gelingen des VB wird darüber hinaus eine unübersehbare Signalwirkung für andere Länder und die EU haben. Diese großartige Chance sollten wir auf gar keinen Fall verspielen!

Kontra Volksbegehren Artenschutz – Christine Singer

Was passiert da grad in unserem schönen Bayernland? Das Thema Volksbegehren hat die Menschen fest im Griff. Ob auf dem Münchner Marienplatz, in den Wirtshäusern auf dem Land, in den Kindergärten und Schulen – und natürlich auch in den Medien: Niemand kommt derzeit an diesem Thema vorbei. Die Meinung ist einhellig: Jeder fordert, dass sich endlich etwas ändern sollte – und jeder nimmt dabei insbesondere die Bauern in den Blick. Diese einseitige Schuldzuweisung ärgert mich sehr!

Wer sich den Gesetzentwurf anschaut, der zur Abstimmung steht, stellt fest: Dort ist ausschließlich eine lange Liste mit neuen Vorschriften für uns Landwirte zu finden. Klar, die Bauern bewirtschaften etwa 44 Prozent der Fläche in Bayern. Aber die Verantwortung für den Artenschutz ausschließlich den Landwirten zuzuschieben, das ist zu einfach und wird dem Problem nicht gerecht. Jeder Einzelne muss und kann einen Beitrag für mehr Artenvielfalt leisten. Maßnahmen gegen immer mehr Beton und Teer, gegen Mähroboter und Steinwüsten im Garten, gegen grelle Beleuchtung und Freizeitaktivitäten auch im entlegensten Eck Bayerns sucht man im Gesetzesentwurf vergeblich.

„Man sägt doch nicht den Ast ab, auf dem man sitzt“

Stattdessen schiebt man uns Bauern den schwarzen Peter zu. Dabei wollen auch wir unseren Kindern eine gute Zukunft ermöglichen – in einer intakten Umwelt, in der Menschen, Tiere und Pflanzen in Symbiose zusammenleben. Auf unserem Hof steht beispielsweise schon unsere Tochter in den Startlöchern. Sie hat Landwirtschaft gelernt, ist inzwischen Meisterin und will unseren Milchviehbetrieb in die Zukunft führen. Dazu gehört eine intakte Umwelt, denn auch unsere Tochter will ihre Kühe weiterhin mit hochwertigem Futter versorgen. Man sägt doch nicht den Ast ab, auf dem man sitzt! Die jungen, bestens ausgebildeten Landwirte, beobachten besorgt, wie mit ihnen umgegangen wird und wie schnell sich die Rahmenbedingungen für sie ändern können. Wenn unser Nachwuchs die Höfe auch in Zukunft übernehmen soll, ist Zuverlässigkeit ein notwendiger Aspekt.

„Das Volksbegehren würde das Engagement der Bauern ausbremsen“

Wir Landwirte denken nachhaltig: Alleine im letzten Jahr haben bayerische Bauern 140 Mio. m² Blühflächen für Bienen und Insekten angelegt. 20 Prozent des Grünlandes werden extensiv bewirtschaftet. Das geht nur dank der Förderung für Umweltmaßnahmen mit insgesamt mehr als 300 Mio. Euro jährlich in Bayern. Jeder zweite Bauer macht mit, 40 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche werden nach Vorgaben der Umweltprogramme bewirtschaftet. Tendenz steigend. Hier müssen wir doch weitermachen, anstatt die Bremse zu ziehen! Das Volksbegehren würde das Engagement der Bauern nämlich ausbremsen. Denn kommen die vorgeschlagenen Gesetze, würde ein großer Teil der Förderung einfach wegfallen. Das wäre ein Bärendienst für die Artenvielfalt in Bayern. Genauso wie das Volksbegehren ein Bärendienst für unsere Ökolandwirtschaft wäre. Die Situation ist doch paradox: Immer mehr Kunden im Supermarkt greifen zu Bioprodukten und auch immer Bauern stellen auf Bio um. Viele Molkereien haben aber im Moment Aufnahmestopp für Bio-Milch verhängt, die Bauern landen auf Wartelisten. Wie kann das sein? Am Ende zählt für viele Verbraucher anscheinend doch nur der Preis, nicht „Bio aus Bayern“ landet im Einkaufswagen, sondern das billigste Bioprodukt. Solange die Nachfrage beziehungsweise die Bereitschaft der Kunden, ein paar Cent mehr für Bio aus Bayern zu bezahlen, fehlt, würde eine staatliche verordnete Ausdehnung des Ökolandbaus auf 20 bis 30 Prozent zu einem Überangebot führen und die Preise für regionale Bio-Erzeugnisse kaputt machen und Wirtschaftlichkeit der bereits bestehenden Öko-Betriebe gefährden.

Die letzten Wochen haben mich sehr betroffen gemacht – als Mensch und als Bäuerin. Hier wird eine ganze Branche zu Unrecht an den Pranger gestellt. Nicht mal vor Kindern aus Bauernfamilien machen einige Menschen halt – sie werden in der Schule gemobbt! Die Landwirte sind sich ihrer Verantwortung bei diesem Thema bewusst und wollen ihr, gemeinsam mit den Menschen in unserem Land, auch gerecht werden. Das geht in diesem Hick-Hack total unter. Aber: Wer Artenvielfalt fordert, der sollte sich zunächst einmal an die eigene Nase fassen. Wir sind alle gefordert und jeder sollte im Rahmen seiner Möglichkeiten eine Beitrag leisten. Auf unserem Betrieb gibt es seit Generationen einen großen Bauerngarten, der versorgt nicht nur unsere Familie, sondern bietet auch für Insekten und Vögel das ganze Jahr über Nahrung und Unterschlupf. Ich wünsche mir bei diesem Thema Engagement und Einsatz von der gesamten Gesellschaft, denn Artenvielfalt geht uns alle an – nicht nur die Bauern!

Verfolgen Sie alle Entwicklungen zum Volksbegehren Artenvielfalt in unserem Ticker

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