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Markus Söder im Interview: „Wir brauchen einen Neustart in Berlin“

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Wenige Tage vor seinem Amtsantritt als neuer CSU-Vorsitzender spricht Markus Söder im Interview mit dem Münchner Merkur über Pläne, Partner, Gegner – und was er aus seinen Fehlern lernt.

Die CSU steht vor einer spannenden Woche. Am Samstag wird Markus Söder bei einem Sonderparteitag zum neuen Vorsitzenden gewählt – Dauerrivale Horst Seehofer räumt letztendlich das Feld. Söder hat damit die zwei mächtigen CSU-Ämter inne: Parteivorsitz und Ministerpräsidentenamt. Hat er das verdient nach der Wahlklatsche von Oktober? Und warum derzeit so milde Worte zur Migration, so grüne Töne zu Umwelt? Wir haben Söder in Nürnberg zum ausführlichen Interview getroffen.

Sie werden am Samstag zum CSU-Chef gewählt, reden aber, als ob Sie sich um den Grünen-Vorsitz bewerben: mehr Multilateralismus, Öko-Erneuerung. Was ist passiert?

Das scheint mir übertrieben. Eines ist klar: Die CSU ist eine Volkspartei und nicht nur Partei im Volk. Deswegen müssen wir breit aufgestellt sein. Ökologie war eigentlich immer die Domäne der CSU. Wir waren es, die das erste Umweltministerium aufgebaut haben. Später haben wir es leider etwas vernachlässigt. Für mich ist Umweltschutz Heimatschutz und damit urkonservativ.

Da war früher ein anderer Söder, eine andere CSU: Donauausbau, Riedberger Horn… Sind Sie ergrünt?

Nein. Die Grünen haben ein anderes Verständnis von Ökologie. Denen geht es in erster Linie um Verbote, Ideologie und Belehrung. Und sie tun sich schwer, ihre eigenen Moralvorgaben einzuhalten. Ich gönne jedem seinen Urlaub und ein Eis. Aber wenn Grünen-Politikerin Katharina Schulze Fotos mit Plastiklöffeln aus Kalifornien postet, obwohl sie im Landtag gegen den Flughafen und Plastikbesteck wettert, dann wird sie ihren eigenen ökologischen Ansprüchen nicht gerecht.

„Man reift in seinen Ämtern“

Mag sein – aber wie anders ist der Söder 2019 im Vergleich mit Söder 2017?

Man reift in seinen Ämtern. 2018 war schon ein sehr prägendes Jahr. Ich hatte wenig Zeit, im Amt zu starten und war sofort im Wahlkampfmodus. Dann kam der große Streit in der Union, der allen massiv geschadet hat. Daraus habe ich persönliche Lehren gezogen: Streit bringt wenig, Theorie-Debatten helfen nicht. Ein starker Staat muss zum Beispiel bei Sicherheit handeln, statt nur darüber zu reden. Genau diese Erfahrungen versuchen wir umzusetzen.

Wenn Sie aus dem Wahljahr also Schlüsse ziehen…

Viele, ja.

…würden Sie einen solchen Streit um den Kreuz-Erlass heute noch einmal vom Zaun brechen?

Ich bin bekennender Christ. Rückblickend: Wir hätten mit den Kirchen vorher vielleicht noch ausführlicher reden können. Das Thema ist leider von einigen als Wahlkampf missverstanden worden.

Könnte an den arg inszenatorischen Bildern von Söder mit Kreuz liegen…

Stilkritik ist immer zulässig.

Sie stehen zur Kirche. Die Kirchenfürsten aber nicht so recht zu Ihnen.

Die Kirche ist groß. Ich möchte das nicht auf Einzeläußerungen reduzieren. Beim Kreuz-Erlass haben wir gerade aus der Basis der Kirche und von vielen Bischöfen Zuspruch erhalten.

Viele Wähler sehen zwei Seiten an Ihnen. Einerseits einen durchsetzungsstarken, rhetorisch herausragenden Politiker…

Könnte die Frage hier enden? (lacht)

…andererseits einen Taktiker, der Politik zu stark inszeniert.

Jeder entwickelt sich und lernt dazu. Natürlich hören wir auf Signale aus der Bevölkerung. Ein Beispiel: Wir haben akzeptiert, dass die Menschen auf Eingriffe in den Alpenplan sensibel reagieren. Deswegen nehmen wir diese Änderungen zurück. Ich glaube, die Bevölkerung schätzt, wenn man eine klare Haltung hat – aber nicht, wenn man stur und borniert ist. Aus Fehlern sollte jeder lernen können.

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„Ich mache keine Politik nach Umfragerhythmen“

Demoskopen warnen, es zahle sich nicht aus, viel über Themen der anderen zu reden. Sie haben erst der AfD das Asylthema wegnehmen wollen, jetzt den Grünen die Umwelt. Ist das der richtige Weg?

Eine Erkenntnis aus 2018 ist doch, dass Umfragen selten richtig waren. Ich mache keine Politik nach Umfragerhythmen. Für erfolgreiches Regieren sind drei Dinge wichtig: kein unnötiger Streit, souveränes Arbeiten und langfristige geistige Orientierung. Nicht ängstlich auf andere schauen und nicht über jedes Stöckchen springen. Dafür ein klares eigenes Profil entwickeln und durchsetzen. Wir haben jetzt fünf Jahre Zeit, Bayern gut zu regieren.

Schon nach zehn Monaten Söder ist Bayern an finanziellen Grenzen. Es ruckelt bei den Etatberatungen. Können wir uns Sie leisten?

Bayern war immer ein Vorbild bei soliden Finanzen. Das bleibt auch so. Wir haben Rekordeinnahmen und gleichzeitig wächst das Land so stark wie noch nie. Das müssen wir zusammenbringen. Natürlich investieren wir mehr als andere Bundesländer in die Familien- und Pflegepolitik. Das muss es uns aber wert sein. Das ist christlich und sozial.

Geben Sie uns Brief und Siegel: Niemals neue Schulden in Bayern?

Ja!

Sie reden über Umwelt, Familie, Pflege. Alles richtig – aber fürchten Sie nicht, dass einige Wähler sich abwenden, wenn Sie so tun, als wäre Migration kein großes Thema mehr?

Im Gegenteil. Die Menschen spüren, dass wir die Asylpolitik in Bayern gut regeln: gelingende Integration, wo möglich – schnelle Abschiebung, wo nötig. Im letzten Jahr sind 22 000 Asylbewerber nach Bayern gekommen, 15 000 Menschen haben das Land freiwillig wieder verlassen.

Alles prima?

Nein. Was sich verbessern muss, ist die internationale Zusammenarbeit. Es ist kaum verständlich, dass nach Ländern wie Senegal und Nigeria kaum Rückführungen möglich sind, nur weil die Länder nicht bereit sind, ihre Landsleute zurück zu nehmen. Da sollten wir auch mit der Ausrichtung der Entwicklungshilfe mehr gegenseitige Fairness einfordern.

„Das wird keine One-Man-Show werden“

Sie haben das schlechteste CSU-Ergebnis aller Zeiten eingefahren und werden dafür jetzt auch noch mit dem Parteivorsitz belohnt. Reiben Sie sich die Augen?

Es geht hier um Verantwortung für die CSU. Das wird keine One-Man-Show werden. Wir werden die Partei als Team aufstellen. Wir werden die Basis stärken. Wir werden engagiert den Europawahlkampf führen und uns auf die Kommunalwahlen 2020 mit 40 000 Kandidaten landesweit vorbereiten.

Seehofer hat die CSU oft ruppig geführt, stauchte Parteifreunde (und Sie) gern über Medien zusammen. Ist das zeitgemäß?

Mir ist wichtig, gut übereinander zu reden. Das ist einer der Erfolgsfaktoren. Weil andere nicht immer freundlich über CSUler reden, müssen wir das schon selber tun.

Künftig sind Sie es, der im Koalitionsausschuss die großen Linien in Berlin mit aushandelt. Wird das Seehofer, der ja Innenminister bleibt, mitmachen?

Ja. Wir werden eng zusammenarbeiten. Wir müssen aber in Berlin einen Neustart machen und die Streitkultur von 2018 ändern. Das ist kein Verlust von Profil, sondern Gewinn an Stil. Ich will keinen täglichen Streit um des Streites Willen, sondern Politik nach dem Motto: Machen statt mahnen.

Was machen Sie konkret?

Es geht vor allem um den Erhalt des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Gerade bei der Automobilindustrie brauchen wir endlich ein Ende der selbstbetriebenen Schlechtmacherei. Deutschland ist das einzige Land der Welt, das seine eigene Kern-Industrie täglich schädigt. Daher braucht es eine neue Autostrategie. Wir werden in der Koalition dazu ein Konzept erarbeiten. Der erste Impuls kommt aus Bayern. Dazu gehören die Förderung von Elektroautos, die Entwicklung von Batterietechnik und Alternativen Brennstoffen sowie einen Zeitplan für das autonome Fahren. Es geht um die Technologieführerschaft im globalen Wettbewerb. Bayern muss Automobilstandort bleiben. Wir werden in den nächsten Wochen Hersteller, Wissenschaftler und Arbeitnehmer zu einer ersten Autorunde einladen. Außerdem muss endlich die leidige Dieseldebatte geklärt werden. Es kann nicht sein, dass die Dieselfahrer am Ende draufzahlen müssen.

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Haben Sie den Eindruck, die CDU zieht mit der neuen Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer bei Kursänderungen mit?

Ja. Bei der CDU gibt es eine Frischluftzufuhr. Die Chance ist, dass neue Parteivorsitzende auch vieles neu konzipieren. Wir haben einen guten Draht.

Söder in Berlin – „Bavaria first“ oder werden Sie zum großen Zentralisten?

Im Gegenteil. Bayern setzt auf Wettbewerbsföderalismus. Vielfalt ist immer besser als Zentralismus. Für mich ist es wichtig, dass Bayern dabei neue Partner findet. Wir beginnen eine enge Zusammenarbeit mit NRW in einer gemeinsamen Kabinettssitzung und der Gründung einer Zukunftskommission Digitalisierung. Wir beleben die alte Südschiene mit Baden-Württemberg und schließen uns eng mit Sachsen zusammen.

Was darf der Bund, wo hauen Sie Berlin auf die Finger?

Die Große Koalition hat sich zentralistisch entwickelt. Das müssen wir ändern. Der Digitalpakt zeigt, dass es knirscht im Bund-Länder-Verhältnis.

Sie wollen keine Mitsprache des Bundes in der Schulpolitik – aber doch gerne Geld aus Berlin.

Mit dem goldenen Lasso allein zu winken, soll nicht funktionieren. Wir wollen keinen Eingriff in die Bildungspolitik und damit in die Kernkompetenz des Landes. Wir wollen keine Einheitsschule aus Berlin oder das Berliner Schulniveau in Bayern. Und schon gar nicht, dass eines Tages ein Bundestag mit anderen Mehrheiten das Gymnasium in Bayern abschaffen könnte. Da ist der föderale Nerv getroffen. Wenn im Bundesrat der Linke-Ministerpräsident Ramelow, der grüne MP Kretschmann und der schwarze MP Söder genau die gleiche Meinung vertreten, dann sollte die Bundesregierung das ernst nehmen.

Interview: Georg Anastasiadis, Christian Deutschländer

Söder fordert neuen Kurs in der Automobilpolitik: „Wir schädigen uns selbst“

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