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Jeder hat sein Päckchen zu tragen

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Bis zu 31 Kilo schwere Pakete schleppen sie bei jedem Wetter: Paketzusteller. Der Internethandel boomt. In der Vorweihnachtszeit kommt darum noch mal etwas oben drauf.

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WIESBADEN – Meist trägt Markus Künzer Wanderschuhe. Obwohl er mit einem Wagen unterwegs ist und unzählige Aufzüge von innen kennt, legt er am Tag große Strecken zu Fuß zurück. “Einmal habe ich den Schrittzähler vom Handy angestellt.” Zwölf Kilometer hat ihm das Gerät am Ende seiner Schicht angezeigt. Das war allerdings nicht in der Vorweihnachtszeit – in den letzten Wochen vor Weihnachten läuft er mehr.

Das Weihnachtsgeschäft bedeute jährlich neue Rekord-Sendungsmengen, erklärt Heinz-Jürgen Thomeczek, Pressesprecher der Deutsche Post DHL in Frankfurt. “Statt durchschnittlich 4,6 Millionen Pakete täglich, werden an Spitzentagen vor dem Fest bundesweit bis zu 11 Millionen erwartet. In den Postleitzahlengebieten 64 und 65 liefert DHL anstatt 116 000 Sendungen täglich jetzt bereits über 183 000 Pakete und es werden immer mehr.”

Seit 30 Jahren fährt Künzer für die Deutsche Post DHL Pakete aus. In der Zeit hat er viele Veränderungen miterlebt – “Als ich anfing, war es noch die Deutsche Bundespost”, erinnert sich der 47-Jährige. Es wurde noch nicht im Internet bestellt und es gab noch mehr Parkplätze.

Die Zustellbasis in Kastel: Aneinandergereiht stehen unzählige gelbe Transporter mit rotem Schriftzug. Es ist 7.30 Uhr. Auch Künzer lädt Päckchen und Pakete in seinen Wagen, registriert sie mit einem Scanner, bevor er sie systematisch im Laderaum platziert. Es sind etwa 200 Stück. Einzelne bis zu 31 Kilo schwer. Einen kleinen Teil seines Bezirks hat er an einen sogenannten “Entlaster” abgegeben. Sonst wären es noch 80 Pakete mehr. “Das wäre nicht zu schaffen”, sagt Künzer.

“Uns helfen in diesen Wochen täglich über 300 zusätzliche Mitarbeiter”, erklärt Isolde Kerker-Godec, Leiterin der Postniederlassung Wiesbaden. Neben den zusätzlichen Kräften wurden auch 300 weitere Autos angemietet. Hermes setzt bundesweit 4000 zusätzliche Fahrzeuge und 6300 zusätzliche Mitarbeiter ein.

Amazon sucht gar verstärkt Gelegenheits-Zusteller, die mit dem privaten Auto Pakete ausliefern.

Künzers Route führt ihn zunächst in die Wiesbadener Bahnhofstraße. “Früher konnte man da überall parken”, erklärt er und zeigt auf eine Bus- und Fahrradspur. Jetzt wendet er im morgendlichen Berufsverkehr – es ist 8.30 Uhr – um seinen Wagen auf der gegenüberliegenden Seite am Straßenrand abzustellen. Einer der wenigen legalen Parkplätze für den Transporter – PKW-Parkbuchten sind oft zu schmal.

Sackkarre raus, Päckchen drauf und los: schnurstracks an die erste Tür. Klingeln, rein, “guten Morgen Markus, wie geht’s?”, ein Lächeln – weiter, nächste Tür.

Künzer beliefert Geschäfte, Ärzte, Rechtsanwälte. Man kennt sich. “Es ist familiär”, betont er. Ein kleiner Plausch in der Buchhandlung gehört dazu. In der Innenstadt ist wegen der Sperrzeiten große Planung gefragt. Die Fußgängerzone darf er bis 11 Uhr befahren. Eine Gratwanderung, denn viele Geschäfte öffnen erst um 10 Uhr. Der Wunschplatz ist bereits belegt. Ein UPS-Fahrer grüßt. “Er hat den gleichen Bezirk.” Alle müssen irgendwo parken. Und auch rechtzeitig wieder weg sein.

Nächster Halt: Wilhelmstraße. Künzer wählt einen zentralen Punkt, an dem er die Sackkarre immer wieder volllädt, die Pakete nach Zielorten sortiert mannshoch stapelt. Effizienz ist gefragt: “Da hat keiner was davon, wenn ich jedes Mal erst anfangen müsste, alles wieder umzuräumen.” Kontinuierlich hält sich ein leichter Nieselregen – von schneidendem Wind begleitet. “Wir können ja schlecht mit einem Regenschirm rumlaufen”, sagt Künzer. Das stimmt. Er ist zwar dick eingepackt – in seiner rot-gelb-schwarzen Jacke – doch hilft das nur begrenzt. “Das zieht bis in die Knochen.” Rein, raus, vom Warmen ins Nasse und umgekehrt.

Eine Zahnarztpraxis. Dann ein Lampengeschäft. Hessen Mobil, die Commerzbank, mit dem Aufzug hoch, die Treppe runter, wieder Zahnarztpraxis. Künzer schaut auf das Display seines Handscanners. “Noch 63 Pakete, mehr als die Hälfte geschafft – wir sind gut in der Zeit.” Wieder ein Aufzug. Ein Drucker muss in den dritten Stock. Die Aufzugtür klemmt, Künzer stöhnt: “Bitte nicht!” Dann schließt sich die Tür doch – zum Glück. Vor neun Jahren hatte er einen Bandscheibenvorfall – “Berufskrankheit”, sagt er.

“Insgesamt ist der Krankenstand in der Vorweihnachtszeit erstaunlich niedrig”, erklärt Thomas Mayer, Leiter der in Kastel ansässigen Zustellbasis Wiesbaden. “Alle wissen, was hier vor Weihnachten los ist. Es bleibt nur zu Hause, wer wirklich krank ist.” Auch Künzer wird durchalten. “Anfang Januar habe ich dann traditionell Urlaub.”

Ob er den Beruf noch einmal wählen würde? “Jeder hat sein Päckchen zu tragen”, sagt er. Doch tauschen will er nicht.

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