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Fall Sami A.: Stadt Bochum beantragt Aufhebung von Rückholanordnung

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Im Fall des mutmaßlich islamistischen Gefährders Sami A. hat die Stadt Bochum nun die Aufhebung der Rückholanordnung beantragt. Über den Verbleib des 42-Jährigen wird seit Monaten diskutiert. 

Update 4. Dezember, 14.15 Uhr: Im Fall der umstrittenen Abschiebung des mutmaßlichen islamistischen Gefährders Sami A. hat die Stadt Bochum beantragt, die gerichtliche Rückholanordnung für den Mann aufzuheben. Dies teilte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am Dienstag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Der Antrag war erwartet worden, nachdem das Verwaltungsgericht das Abschiebeverbot des 42-Jährigen vor zwei Wochen vorläufig aufgehoben hatte. Ob über den Antrag noch in diesem Jahr entschieden wird, ist offen.

Die voreilige Abschiebung von Sami A. am 13. Juli hatte für erheblichen Streit zwischen Justiz und Politik gesorgt. Am Tag zuvor hatte das Verwaltungsgericht die Abschiebung noch untersagt, als der Beschluss den zuständigen Behörden zugestellt wurde, saß Sami A. allerdings bereits im Flugzeug nach Tunis. Das Gericht rügte das Verhalten der Behörden und ordnete die sofortige Rückholung von Sami A. an. Zwei Monate später stellte das Gericht fest, dass Sami A. in Tunesien nicht alles in seiner Macht Stehende unternommen hat, um in den Besitz eines für die Wiedereinreise notwendigen Reisepasses zu gelangen. Im Herbst gab es dann eine Zusicherung des tunesischen Staates, wonach Sami A. dort keine Folter und unmenschliche Behandlung drohen. Das Gericht hob daraufhin am 21. November das Abschiebeverbot auf.

Zoff über Sami A. im „heute journal“: Kleber stellt NRW-Minister bohrende Fragen

Mainz – Der Fall Sami A. hält in Deutschland in Atem. Auch in einer wichtigen Nachrichtensendung sorgte der Konflikt rund um den abgeschobenen mutmaßlichen Bin-Laden-Leibwächter am Donnerstag für einen kleinen Eklat – NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) stellte sich dort den Fragen von Moderator Claus Kleber.

Einen Tag zuvor hatte das Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster entschieden, dass Sami A. nach Deutschland zurückgeholt werden muss. Die für die Abschiebung zuständige Behörde ist Stamps Ministerium unterstellt, der Minister hätte die Abschiebung am 13. Juli noch verhindern können. Oder womöglich gar müssen: Die Abschiebung war am Tag zuvor vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen für unzulässig erklärt worden.

Stamp klagt im „heute-journal“: „Versetzen Sie sich einmal in meine Lage“

Kleber warf Stamp nun vor, seine „außenpolitischen Bedenken über den Willen des Gerichts gestellt“ zu haben. Schnell entwickelte sich ein veritables Streitgespräch. Denn der Minister wollte diesen Vorwurf nicht gelten lassen: „Versetzen sie sich einmal in meine Situation“, sagte Stamp. 

Kurz vor der Landung des Flugzeuges habe er „wie aus heiterem Himmel“ die Nachricht von der Entscheidung erhalten, dass die Abschiebung nicht erfolgen darf. „Ich wusste, dass die Tunesier gegen ihn ermitteln“, sagte Stamp im „heute-journal“. Und weiter: „Wenn ich jetzt hier eingreife, verstoße ich möglicherweise gegen internationales Recht.“

Kleber bohrt nach – schließlich gibt Stamp einen Fehler zu

Kleber ließ nicht locker: „Und dabei, sagen Sie, hat gar keine Rolle gespielt in Ihrem Kopf, das Gefühl dass alle Leute sagen werden: ‚Gott sei Dank sind wir den Kerl los?‘“ Dann legt der „heute journal“-Anchor-Man noch einmal nach: Die Konsequenz könne doch auch sein, „dass Menschen jetzt sagen, da sieht man, der Rechtsstaat wird mit Terrorismus nur fertig, indem er das Recht biegt!“, wirft er dem Minister zu. 

In der Tat gab Stamp daraufhin zu, einen Fehler gemacht zu haben: Es sei falsch gewesen, in der Situation nicht im Bundesinnenministerium angerufen zu haben.

Fest steht, dass die Kommunikation zwischen Behörden und Gericht mangelhaft war. Die Mitteilung an den Minister erfolgte nämlich erst, als sich das Flugzeug mit Sami A. an Bord bereits auf dem Hoheitsgebiet Tunesiens befand. Das OVG gibt dazu in einer Mitteilung an, dass dem zuständigen Verwaltungsgericht der Abflugtermin nicht genannt worden war.

Eigentlich sei in solchen Fällen ein informelles Stillhalteabkommen üblich. Dementsprechend habe das Gericht auch keine Notwendigkeit für einen sogenannten Hängebeschluss gesehen, mit dem tatsächlich verhindert worden wäre, dass die Behörde vor Bekanntgabe des Urteils Tatsachen schafft. 

Im „heute journal“: „Drei Juristen, fünf Meinungen“ – Kleber stichelt wegen flapsigem Kommentar

Stamp bestätigte den Vorgang: Er sei ebenfalls über ein Stillhalteabkommen informiert gewesen. Die Kommunikationsprobleme fasst er unter dem Schlagwort „Irritationen“ zusammen. „Das ist schon ein bisschen mehr“, sagte Kleber. Stamp rechtfertigte sich damit, dass er die Wortwahl der OVG-Präsidentin übernommen habe.

Dass er persönlich mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht zufrieden sei, verschwieg Stamp gleichwohl nicht. „Drei Juristen, fünf Meinungen“, sagte er dazu. Kleber stellte diese Antwort nicht zufrieden: „Das klingt so, als würden Sie als Minister sagen: ‚Wenn ein Urteil mir nicht gefällt, berufe ich mich darauf dass auch andere Leute andere Meinungen haben.‘“ Umsetzen werde er das Urteil „selbstverständlich dennoch“, versicherte Stamp.

Stamp nennt abgeschobenen Sami A. „Tickende Zeitbombe“

Oppositionspolitiker fordern unterdessen den Rücktritt Stamps. Der selbst hatte angekündigt, die „politische Verantwortung“ für die Vorgänge zu übernehmen; eine Floskel, die häufig einem Rücktritt vorausgeht, wie Kleber in der Sendung betonte. Stamp wiegelte ab: Er und sein Ministerium wollten die politische Verantwortung übernehmen, indem sie „den Rechtsstaat ernst nehmen, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger achten und […] weiterhin konsequent versuchen werden, Gefährder […] außer Landes zu bekommen.“

Sami A. nannte der Minister in dem Interview eine „tickende Zeitbombe“, bei der sich eine Chance zur Abschiebung ergab, die er habe ergreifen wollen. Zugleich äußerte er scharfe Vorwürfe an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Es sei dennoch seine Absicht, dass sich ein Fall wie der von Sami A. nicht wiederholt – „das wäre auch gut für Sie, Herr Stamp“, kommentierte Kleber lakonisch. 

Claus Kleber hat einen Film gedreht, in dem er die Menschenrechtslage in verschiedenen Ländern dokumentiert. 

chp

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